„Take it easy!“
Es ist noch keine perfekte Mutter vom Himmel gefallen
Seit über 25 Jahren steht Paula Diederichs, Diplom-Sozialpädagogin und Heilpraktikerin mit den Schwerpunkten Pränatalpsychologie und Körperpsychotherapie, Eltern bei, wenn die eigentlich schönste Zeit im Leben zu sehr unter Druck gerät. Mit viel Empathie und Engagement hilft die Leiterin der SchreiBabyAmbulanz Berlin Mitte gestressten Eltern dabei, Wege aus der Krise zu finden. Im Interview erklärt sie, dass Leistungsdruck und Stress der Bindung im Weg stehen und die Basis für ein gelungenes Miteinander in der Ruhe und Selbstfürsorge der Eltern liegt.
(Interview: Simone Forster)
In Ihrer Arbeit als Krisenbegleiterin unterstützen Sie Eltern dabei, den für sie stark belasteten Alltag mit ihrem Kind und damit einhergehende Bindungsstörungen zu überwinden. Das ist äußerst wichtig, denn ohne eine liebevolle Bindung zu seinen Eltern kann ein Kind nicht gesund aufwachsen. Aber was genau ist Bindung überhaupt?
Paula Diederichs: Das ist eine philosophische, allumfassende Frage. Neben der verhaltensbiologischen Dimension, dass wir Menschen als Traglinge weit mehr Bindungserfahrungen machen als zum Beispiel Nestbrüter, hat Bindung auch spirituelle und kulturspezifische Dimensionen. Es spielt eine Rolle in welcher Kultur und Region die Frau lebt, lebt sie in der Stadt, auf dem Land, in der Antarktis, in der Wüste oder in Berlin… Die Bedingungen, unter denen das kleine Wesen im Leib seiner Mutter heranwächst, bestimmen sein Grundlebensgefühl. Alles, was die Frau erlebt, erlebt auch das Kind in ihr. Beide teilen sich einen „Ver-Bindungsraum“. Deshalb sage ich ganz klar, es gibt ein Erleben von Zeugung an.
Wie würden Sie Bindung beschreiben?
Paula Diederichs: John Bowlby,der Vater der Bindungsforschung, hat gesagt, „Bindung ist das Band, was Menschen über Raum und Zeit miteinander verbindet.“Aus der Zwillingsforschung wissen wir, wenn bei eineiigen Zwillingen ein Zwilling auf der anderen Seite vom Erdball einen Unfall hat, spürt der andere Zwilling, dass etwas passiert ist. Da ist dieses Band und wir wissen immer noch nicht, was für eine Energie das ist, die das verbindet. Doch es kann erstaunlich viel bewirken, wenn man diese Bindung zum Kind, diesen Herzfaden spinnt und immer wieder gute Energien zum Kind schickt.
Kann man „Bindung“, das Sich-mit-seinem-Kind-Verbinden lernen oder geht das gar nicht?
Paula Diederichs: Menschliche Bindungs- und Erziehungsprozesse verlaufen nicht linear. Das bedeutet, dass man nicht immer perfekter im Umgang mit seinem Kind wird, sondern dass es ein lebenslanges Lernen, ein Vor und Zurück, ein Miteinander ist. Wenn man sich als Elternteil mit der Bindungsforschung beschäftigt und sich Wissen anliest, ist das natürlich gut. Aber wenn man sich permanent fragt, „Bin ich jetzt sicher gebunden?“entsteht zu viel Leistungsdruck. Ich versuche immer, da den Druck herauszunehmen und der Mutter und dem Vater zu helfen, mehr in sich zu ruhen.
Ist es denn in der heutigen Zeit schwieriger geworden, Mutter/Vater zu sein?
Paula Diederichs: Wir leben in einer Leistungsgesellschaft. Jede Mutter möchte die beste Mutter sein. Was da häufigunter den Tisch fällt, ist diese intuitive Mutterschaft, dieses In-den-Bauch-fühlen. Wir haben zwar dieses ganze wunderbare Wissen aus der Bindungsforschung, der Pränatalpsychologie und der Körperpsyschotherapie. Aber wenn das nur im Kopf bleibt, bin ich auch nur in dieser „Wissensmutterschaft“. Das setzt mich dann noch mehr unter Erfolgsdruck.
Wiekann es einemgelingen, eine intuitivere Mutter zu sein?
Paula Diederichs: Alles braucht seine Zeit. Wenn ein Kind geboren wird, wird auch eine Mutter geboren. Der Mitbegründer der Entwicklungspsychologie Donald Winnicott hat gesagt „Mother to be good enough – not perfect“. Mein Rat lautet: Sorgt für euch selbst, vergleicht euch nicht mit anderen und versucht nicht perfekt zu sein. Take it easy, wenn mal was nicht so läuft. Denn wenn du eine perfekte Mutter sein willst, dann willst du auch ein perfektes Kind haben. Das Leben ist aber nicht perfekt. Jeder darf Fehler machen. Genauso dürfen die Kinder „fehlerhaft“ sein. Sie dürfen auch mal mehr weinen.
Mit welchen Problemen kommen die Eltern zu Ihnen in die SchreiBabyAmbulanz?
Paula Diederichs: Bei 80 Prozent der Eltern geht es um das Einswitchen in die neue Rolle. Wir wissen aus der Psychologie, dass die Umstellung in die Mutterschaft die größte Veränderung im Leben einer Frau ist. Und es kommen Eltern, deren Kinder eine erhöhte Unruhe haben, die sehr viel Mama und sehr viel Beruhigung brauchen. Es dreht sich meist alles um das Kind und die Mutter vernachlässigt sich mehr und mehr selbst bis hin zur totalen Erschöpfung.
Aber egal, was gerade für Probleme da sind, – ob das Kind schreit, ob es Schlafprobleme hat, ob die Mama ein schlechtes Gewissen hat, weil die Geburt nicht ihren Wünschen entsprochen hat oder ob Eheprobleme da sind –, es geht fast immer darum, dass die Eltern ihre Ruhe und Sicherheit als Eltern wiederfinden.
Wie können gestresste Eltern wieder lernen, sich selbst und ihrem Kind gegenüber ruhiger und gelassener zu verhalten? Welche Wege gibt es raus aus der Krise?
Paula Diederichs: Man sollte in eine gesunde Selbstfürsorge kommen undsich bewusst zu machen, warum es überhaupt zu einer Krise kommen konnte. Als Eltern leistet man unglaublich viel: Man ist unkündbar, hat keinen Urlaub und immer Bereitschaftsdienst. Es ist wichtig, anzuerkennen, wenn die eigene Geschichte schwierig war. In den SchreiBabyAmbulanzen schauen wir mithilfe von Achtsamkeits- und Atemübungen sowie empathischen Gesprächen, ob derSchmerz, die Wut, die Trauer oder die Hilflosigkeitnoch da ist oder ob nochTränen abgeweint werden müssen. Und mitFuß- undRückenstreckermassagen bekommen die Müttervon uns Halt, damit sie selbst ihrem Kind wieder Halt geben können.
Das ist bestimmt nicht immer leicht…
Paula Diederichs: Mir persönlich macht esgroße Freude, den Menschen dabei zu helfen in friedlichere Bindungsstrukturen hineinzukommen. Selbstwenn die Eltern am Straucheln sind und Hilfe benötigen, wollen sie dochdas Beste geben für ihr Kind. Es ist nie zu spät, sich seinem Kind zuliebe zu wandeln. Jeder kannin Frieden mit seinem Mutter- und Vatersein kommen.
Paula Diederichs,
Diplom-Sozialpädagogin.
Seit 1998 leitet sie die Berliner
SchreiBabyAmbulanz Berlin Mitte und
das Weiterbildungsinstitut für ressourcen-
und körperorientierte Krisenbegleitung.
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www.pauladiederichs.de Abb.: © Diederichs