Im Tragetuch die Welt entdecken
Seit Jahrmillionen werden die Babys weltweit getragen. Und das ist auch heute noch bei der Mehrheit aller Babys der Fall.
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Eine Mama, die ihr Kind trägt, bekommt unmittelbar mit, wenn ihr Baby unterschwellige Signale aussendet und beginnt, unruhig oder hungrig zu werden. So kann sie schneller auf die Bedürfnisse ihres Kindes reagieren und das Baby fühlt sich „verstanden“. Seine Zufriedenheit wiederum wirkt sich positiv auf die Mama aus und das emotionale Band – die Mutter-Kind-Bindung – wird gestärkt.
Die wohl größte Verfechterin des Tragens ist die New Yorkerin Jean Liedloff (*1926 – † 2011). In ihrem Buch „Auf der Suche nach dem verlorenen Glück“ von 1977 beschreibt sie, warum das permanente Getragenwerden von Babys für deren Entwicklung und Glücksfähigkeit grundlegend ist. Nach jahrelangen Beo- bachtungen der äußerst zufriedenen Yequana-Indianer im Regenwald Venezuelas fand sie heraus, dass der Schlüssel zu einer entspannten und friedlichen Gemein- schaft darin liegt, die angeborenen kindlichen Erwartungen von Geburt an zu erfüllen. Um sich „richtig“ und geborgen fühlen zu können, benötigen Babys den unentwegten Körperkontakt zu einer Betreuungsperson.
Auch der Kinderarzt und Buchautor von „Kinder verstehen. Born to be wild – wie die Evolution unsere Kinder prägt“, Dr. Herbert Renz-Polster, bestätigt Liedloffs Beobachtungsergebnisse durch eigene Forschungen: „Beim Getragen-Werden macht das Kind mit dem ganzen Körper aktiv mit, benutzt seinen Halteapparat, seinen Gleichgewichtssinn und überhaupt seine Sinne – es spürt seine Bezugsperson, hört ihre Sprache, nimmt ihre Gefühle wahr und kann aus einem ‚geschützten‘ Raum heraus mit anderen Menschen in Beziehung treten. Es ist auf ganzheitliche Art ‚eingebunden‘.“
Richtig gebunden ist das Tragetuch, wenn man sein Baby problemlos auf den Kopf küssen kann und es über dem eigenen Bauchnabel aufrecht mit leicht gespreizten Beinen angehockt „sitzt“ und nicht „wie ein Schluck Wasser in der Kurve hängt“. Das Gesicht des Babys sollte zum Körper gewandt und das Köpfchen gut gestützt sein. Das Kind muss auch dann noch fest am Körper bleiben, wenn man sich nach vorne beugt.
Natürlich können auch die Väter ihre Kinder tragen und so die Vater-Kind- Bindung fördern. Denn jedes Kind wird den Herzschlag und die vertraute Papastimme lieben und sich an Papas Körper ebenso wohl fühlen wie an Mamas. Außerdem zeigen tragende Väter ihren Kinder die Welt aus einer anderen Perspektive – spannende Entdeckungen und Lernimpulse garantiert!
Anleitungen zum Tuchbinden findet man zum Beispiel beim Tragenetzwerk e.V.: www.tragenetzwerk.de
Simone Forster