Die Geburt von Sol Lois
Für Andrea waren die Geburten ihrer Kinder wirklich erhebende Erfahrungen, die ihr eine sehr viel innigere Beziehung zu sich selbst, ihrem Körper und ihren Instinkten geschenkt haben. Mit ihrem Geburtsbericht einer wunderschönen Wassergeburt zu Hause wünscht sie sich, auch andere Frauen zu ermutigen, ebenfalls voll ins Vertrauen zu gehen, und ihre Geburt als das zu erleben, was sie ist und sein kann: die Initiation in die Mutterschaft und das pure Glück.
Sol Lois Friedrich, 01.06.2020, 19:20 Uhr, Foto © Friedrich
„Sie ist da! Du kannst sie dir holen!“ Wie im Traum erreichen mich die Worte der Hebamme und während meiner gestammelten „Wo, wo ist sie denn?“ sehe ich auch schon das winzige Menschlein im Geburtspool schweben. Ganz still und regungslos, die Ärmchen an den Seiten angewinkelt und das Köpfchen zum Boden, wie eine kleine Astronautin. Ungläubig und sachte fühle ich an ihre Seiten und hebe sie mir auf die Brust. Ein Moment, den Worte nicht beschreiben können.
Ein Teil von mir wusste schon am Morgen, dass es an diesem Tag losgehen würde. Die ganze Nacht hatte ich Kontraktionen gespürt. Ich wurde von einer Nachricht auf dem Handy geweckt mit den Worten „Happy June 01, the month of the sun.“ Sol (= Die Sonne) ist der Name, den wir für unsere Tochter ausgesucht hatten. Unsere Wohnung war schon seit ein paar Tagen auf Geburt vorbereitet: In der Küche hatten wir den riesigen Geburtspool aufgeblasen, den ich mir geliehen hatte – zu groß für unser Bad – Kerzen und Blumen sowie ein geknotetes Laken zum Ziehen, was ich bei meiner ersten Geburt gewollt hatte.
Nach einem schönen Tag im Schrebergarten mit Freunden, an dem ich auf einem großen Sitzsack viel mit meinem Sohn gekuschelt habe und ich immer wieder Wehen hatte, erfasste mich plötzlich eine so heftige Wehe, dass mir glasklar war, dass ich jetzt sofort nach Hause musste, da sonst das Baby im Garten käme. Aus dem Auto telefonierte ich mit meiner Hebamme. Als sie zu uns kam, schlug sie vor, gleich in den Pool zu gehen. Die Schwerelosigkeit des Bauches im Wasser war eine riesige Entlastung. So verging einige Zeit. Die meisten Wehen atmete und tönte ich vorne über den Rand gebeugt und presste die Hand meines Mannes. Ich merkte die ruhige Präsenz der Hebamme. Sie hielt sich sehr im Hintergrund, wie ich es mir gewünscht hatte und meldete sich nur hin und wieder mit ermutigenden Worten. Auch horchte sie in einer Wehenpause einmal mit dem Höhrrohr nach dem Herzschlag. Dies wäre zu jeder Zeit möglich gewesen, aber für mich war es nicht notwendig, da ich mich die ganze Zeit sehr gut mit dem Kind verbunden fühlte und an ihren Bewegungen in mir gespürt habe, dass alles in Ordnung ist.
Die Wehen kamen weiterhin, stark, schnell und regelmäßig und ich war schon ziemlich erschöpft. Und dann – nur einen kurzen Moment nachdem ich den Satz „Ich kann nicht mehr“ ausgesprochen hatte, spürte ich, wie sich der Pressdruck hinter meinem Beckenboden aufbäumte. In diesem herausfor- derndsten und zeitgleich auch erhebendsten Moment der Geburt realisierte ich ganz klar: „Nur ich bin hier zuständig. Es liegt einzig und allein an mir und dem Baby.“ Die Presswehen waren kurz und heftig. Ich versuchte ganz bei mir zu bleiben, um wirklich den Fortschritt der Öffnung innerlich zu visualisieren. Das gelang mir ganz gut und insbesondere bei der vorletzten Presswehe, hielt ich recht viel Kraft zurück, um auf die nächste zu warten und ein Reißen zu vermeiden. Dies war einer der wertvollen Tipps, die ich schon vor der ersten Geburt erhalten hatte: „Take it easy und presse nicht zu doll.“ D.h., bloß nicht von außen „anfeuern“ lassen, wie es in Filmen vorgemacht wird. Mit der nächsten Wehe war das Köpfchen dann geboren und der kleine, glitschige Körper glitt einfach hinterher. Ich war so hoch konzentriert, dass ich es gar nicht richtig realisierte, aber der wahrhaft schönste Moment war wirklich der, als ich sie im Wasser treiben sah und dann auf meine Brust legte.
In Gesprächen zu Geburten kommt immer wieder die Frage, ob ich denn keine Angst gehabt hätte? Nein, hatte ich nicht. Respekt und eine Art freudige Aufregung ja, aber keine Angst. Ich bin mir nicht sicher, wie ich das geschafft habe, weil ich sonst vor vielem Angst habe, aber ich habe sehr viele positive, Geburt bejahende Informationen gesucht und dabei gemerkt, wieviele Zweifel nur von außen an mich herangetragen wurden und gar nicht meine waren. Schon vor meiner ersten Geburt hatte ich ein tolles Gespräch mit einer befreundeten Doula, die mich in meiner Entscheidung bestärkt hat und den wichtigen Satz gesagt hat: „Wenn es Komplikationen gibt, musst du eh ins Vertrauen gehen und die Fachleute machen lassen. Du wirst nicht besser vorbereitet sein, wenn du vorher deinen Kopf vollmachst mit all den Dingen, die schief gehen könnten.“ Sie riet mir, mich auf meine Kapazitäten zu fokussieren. Und genau das habe ich gemacht.
Sol’s Geburt war genauso magisch wie sie selbst und hat mich unglaublich gestärkt. Mir ist völlig klar, dass nicht jede eine Hausgeburt haben kann und vor allem, dass es keine allgemein „beste“ Art der Geburt gibt. Es ist jedoch so wichtig, auf die eigene Intuition zu hören und sich selbst so weit wie möglich zu vertrauen.
Andrea Friedrich
Foto © Friedrich