Die seelische Dimension der Geburt
Galten Neugeborene bis in die 1970er Jahre noch als Reflexwesen ohne Empfinden, weiß man heute dank der prä- und perinatalen Psychologie- und Medizinforschung, dass schon die Babys im Mutterleib empfindsame Persönlichkeiten sind. Seit über 50 Jahren setzt sich der renommierte Pränatalpsychologe Dr. med. Ludwig Janus für die Anerkennung der seelischen Dimension im Geburtsgeschehen ein.
Abb: © Isaac Quesada/www.unsplash.com
Warum sollten die Erkenntnisse der Pränatalpsychologie in der Geburtshilfe mehr beachtet werden?
Dr. med. Ludwig Janus: Die Pränatalpsychologie beschäftigt sich mit den vorgeburtlichen, geburtlichen und nachgeburtlichen Erfahrungen. Auch wenn wir uns nicht bewusst an diese vorsprachliche Zeit erinnern können, ist alles in unseren elementaren Seelenschichten gespeichert. Startet das Kind gut ins Leben, sind die ersten Weichen für das ganze Leben positiv gestellt. Das Wissen um die Psychologie der Geburt ist in unserer Gesellschaft aber noch nicht tief genug verankert. Schmerzlich bewusst geworden ist mir das, als ich das Titelbild der Süd- deutschen Zeitung vom 23. Dezember 2021* gesehen habe.
Was war das denn für ein Bild?
Dr. med. Ludwig Janus: Das Titelbild zeigt ein Kind in Schockstarre, das gerade innerlich stirbt, was man an den überstreckten Händen und der Mimik deutlich erkennen kann. Die Geburt muss für das Kind extrem belastet gewesen sein. Das Schlimmste an dem Bild ist, dass die Hebamme oder Ärztin diese existenzielle Not des Kindes nicht bemerkt, weil sie das Kind in völliger Verkennung der Situ- ation fröhlich anlacht. Man misst zwar die körperlichen Funktionen anhand der Apgar-Skala, aber der Schockzustand wird nicht erfasst. Man ist froh, dass das Kind da ist, aber man sieht nicht, wie es seelisch da ist.
Wie kann man dem Kind denn helfen?
Dr. med. Ludwig Janus: Wenn der Start ins Leben belastet ist, kann es sein, dass das Kind in diesem Schockzustand hängen bleibt. Es wird ein Schreibaby. Es gibt tatsächlich schon eine „Babytherapie“. Hilfe bekommt man auch in den Schreibabyambulanzen. In der Kleinkindzeit kann das Spielen bei der Verarbeitung der psychischen Wunden helfen. Beim Fangen und Verstecken spielen werden Grundängste und Grundsehnsüchte bedient. Wiedergefunden werden und sehen, dass ich wichtig bin, ist sehr wertvoll für die Kinder.
Ist es möglich, einen traumatischen Start wieder auszugleichen?
Dr. med. Ludwig Janus: Das hängt von den Gesamtbedingungen ab. Wenn das Kind gewollt ist und die Belastung eine Notsituation war, dann resorbiert sich das im Umgang mit den Eltern. Unter der Geburt ist es wichtig, eine Balan- ce zwischen den Bedürfnissen der Frau, denen des Kindes und der Notwendigkeit von Eingriffen herzustellen. Medizinisch notwendig wären nur 5-10% der Kaiserschnitte. Es sind aber über 30 %. Die ganze Geburtshilfe ist in einen Not- stand geraten.
Inwiefern?
Dr. med. Ludwig Janus: In medizinischen Kreisen wird die Geburt zu 70% als gefährlich angesehen. Es muss umgekehrt sein. 70% der Geburt könnten zu der gesunden Seite zählen, wenn man sie nur lässt. Wenn ich zum Beispiel einen Kaiserschnitt habe, fehlt mir diese enorme Kraftentfaltung unter der Geburt. Dieses Wissen: „Ich bringe mich zur Welt. Ich kann alle Hindernisse überwinden.“ Aber auch viele Frauen haben große Angst. Wenn die Frau in der Klinik sagt: „Doktor ich hab Angst“, wird der Mann vermutlich so etwas sagen wie: „Sie brauchen keine Angst haben. Zur Not schneiden wir das Kind raus, wir haben Saugglocken und eine Peridualanästhesie. Wenn Sie müde sind, geben wir Ihnen einen Medikamentencocktail...“
Das klingt so, als würde den Frauen die Geburt weggenommen...
Dr. med. Ludwig Janus: Ja, man kann es als Enteignung der Geburt sehen – auch beim Kind! Im 19. Jahrhundert haben die Männer aufgrund ihres wissenschaftlichen Wissens gesagt: „Wir übernehmen die Geburt.“ Das hat sich im 20. Jahrhundert durchgesetzt. Seitdem werden die Kinder fast alle in Kliniken geboren. Gleichzeitig hat es die Frauen in ihrem Potenzial, Kinder zu gebären, massiv geschwächt ebenso das Potenzial der Kinder, sich mithilfe der Mutter zur Welt bringen zu können.
Was müssten die Frauen tun?
Dr. med. Ludwig Janus: Die Frauen müssen sich selbst ermächtigen, in ihre weibliche Kraft zu kommen, zum Beispiel mit Körperarbeit im Wasser. Und ich muss mich mit meiner Geschichte, meiner Geburt, meiner Kindheit beschäftigen. Entscheidend ist auch, dass Elternschaft nicht erst mit der Geburt beginnt, sondern mit der Zeugung. In dem Moment, in dem das Kind im Bauch der Mutter heranwächst, ist es ein Beziehungswesen, dem es gut tut, wenn die Mutter und auch der Vater innerlich zu ihm in Kontakt treten.
Wie kann dieses vorgeburtliche In-Kontakt-treten aussehen?
Dr. med. Ludwig Janus: Die emotionale Zuwendung zum Kind kann durch Streicheln, Reden, Vorsingen, dem Kind etwas erzählen erfolgen. Mithilfe der Bindungsanalyse kann die vorgeburtliche Mutter-Kind-Beziehung ebenfalls gefördert werden. Es geht darum, dass sich das Kind im Bauch gespürt, geliebt, gewünscht fühlt. Wenn sich die Mutter und auch der Vater ihm zuwenden, ist diese primäre Sicherheit da. Das schafft für die Geburt ganz andere Voraussetzungen. Es macht einen Unterschied, ob man als Frau ängstlich und verunsichert in die Geburt geht oder mit der Einstellung „Mein Baby und ich werden das schon schaffen.“
Was kann eine gute Geburt für das Kind bewirken?
Dr. med. Ludwig Janus: Kinder, die schon vor ihrer Geburt geliebt werden und die in Liebe und Frieden geboren werden, haben die Chance, diese Liebe und diesen Frieden auch zu leben und nach außen zu tragen.
Weitere Infos: www.Ludwig-Janus.de, www.praenatalpsychologie.de, www.bindungsanalyse.de, www.babybauchgefluester.de, www.isppm.ngo
(Interview: Simone Forster)
*https://sz-magazin.sueddeutsche.de (Geburt Ablauf)
Abb: © Ludwig Janus