Geburt und Frieden

Welche Bedingungen Schwangerschaft und Geburt haben müssten, um die Friedensfähigkeit unserer Gesellschaft zu erhöhen

Wir kommen aus einer Geschichte, die in komplexer Weise durch Gewalt, Hunger, Krankheit und Kriege belastet war. Davon waren immer auch Mütter und Kinder in besonderer Weise betroffen.

Darum können wir dankbar sein, dass es in den letzten 200 Jahren im Zusammenhang mit der Entwicklung von Wissenschaft, Technik, Medizin, Landwirtschaft und der Entwicklung von rechtsstaatlichen und sozialen Strukturen in unseren Gesellschaften zu einer dramatischen Verbesserung der Lebensbedingungen für größere Teile der Bevölkerung gekommen ist (Rosling u.a. 2018).

Das hat auch – ebenso wie die Emanzipation der Frauen – ermöglicht, dass wir uns heute in ganz anderer Weise als früher mit unserer eigenen Lebens- geschichte auseinandersetzen können und uns ebenso in das Erleben von unseren Kindern einfühlen können. Aussprüche wie „das Durch-Schreien- lassen von Säuglingen durchlüftet die Lungen“ und „eine Tracht Prügel hat noch niemandem geschadet“, die vor wenigen Jahrzehnten noch ganz selbstverständlich geäußert wurden, erscheinen heute fast bizarr fremdartig.

Wir können rückblickend deshalb auch reflektieren, dass die traumatisch belasteten Kindheitsbedingungen in den historischen Zeiten ein Hintergrund für die Gewaltgeprägtheit des historischen Geschehens waren (Fuchs 2019, Janus 2022). Ein wesentlicher Aspekt ist dabei, dass Kinder wegen ihrer „Unreife“ bei ihrer Geburt Erfahrungen in den ersten anderthalb Lebensjahren nicht reflektieren und nicht verarbeiten können; sie werden eins zu eins gespeichert. Darum ist eine erste Beziehung schon vor der Geburt (Hidas, Raffai 2006, Blazy 2015) und eine emotionale Begleitung in den ersten anderthalb Lebensjahren so grundlegend bedeutsam.

Die emotionale Beziehung und die Einfühlung, müssen gewissermaßen die Hilflosigkeit des Kindes am Lebensanfang und in den ersten anderthalb Lebensjahren ausgleichen. Das ist eine große Herausforderung für die Eltern und zugleich eine Anforderung an den Staat, werdende und junge Eltern darin zu unterstützen, dass sie ihren Kindern einen inneren Entwicklungsraum zur erfügung stellen können. Mein Text „Die psychologische Dimension von Schwangerschaft und Geburt“ (Janus 2023) kann dabei eine hilfreiche Ressource sein.

 

Literatur

  • Blazy, H. (Hg.) (2015), Jenö Raffai: „Gesammelte Vorträge“. Mattes, Heidelberg. Hidas, G., Raffai, J. (2006): „Die Nabelschnur der Seele“. Psychosozial, Gießen.

  • Janus, L. (2022): „Überlegungen zu den psychologischen und psychohistorischen Hintergründen des Krieges in der Ukraine und von Kriegen allgemein“. Dynamische Psychiatrie

  • Janus, L. (2023): „Die psychologische Dimension von Schwangerschaft und Geburt“. Mattes, Heidelberg

  • Rosling, Hans; Rosling-Rönnlund Anna; Rosling, Ola (2018): „Factfulness: Wie wir lernen, die Welt so zu sehen, wie sie wirklich ist“. Ullstein, Berlin

 

Dr. med. Ludwig Janus setzt sich als Facharzt für Psychotherapeutische Medizin, Pränatalpsychologe und Psychohistoriker seit über 40 Jahren mit dem seelischen Erleben vor und während der Geburt sowie dessen Einfluss auf das weitere Leben auseinander.

 

www.ludwig-janus.de