Mütter unter Druck

Denise Wilk arbeitet seit 26 Jahren als Doula und hat bisher über 300 Geburten begleitet. Von Herzen wünscht sich die Sechsfachmama, dass eine Mutter genau die Mutter sein darf, die sie sein möchte. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit, die aber keine ist...

Abb: © Milan Pinder / pixabay.com

 

Ihr in 2016 veröffentlichtes Buch „Die Abschaffung der Mutter“ hat für kontroverse Diskussionen gesorgt. Inwiefern schaffen wir die Mütter ab? Brauchen wir sie nicht mehr?

Denise Wilk: Wir brauchen sie mehr denn je, denn eine gute Bindung ist die Basis für ein gutes Leben. Gut gebundene Menschen, deren Bedürfnisse gut befriedigt wurden, sind die einzigen, die eine friedliche Welt erschaffen und erhalten können. Dass die Wichtigkeit der Mutterrolle zunichte gemacht wird, geschieht allerdings auf vielen Ebenen gleichzeitig.

Wo liegen denn die heutigen Probleme?

Denise Wilk: Die Einführung des Elterngeldes in 2007 war zwar ein wichtiger emanzipatorischer Schritt, aber zeitgleich ist die Toleranz dafür, dass man drei Jahre Erziehungszeit nimmt, extrem gesunken. Es gilt als gesellschaftlich „normal“, dass spätestens nach 14 Monaten mit zwei Alibivätermonaten dann auch wieder gearbeitet werden muss. Es wird sowohl auf finanzieller Ebene als auch der Ebene dieser mangelnden Anerkennung ein massiver gesellschaftlicher Druck ausgeübt, der viele Frauen zurück an den Arbeitsplatz treibt und die Kinder zu früh in die Fremdbetreuung.

Wollen die Kinder nicht ab einem bestimmten Alter in die Kita?

Denise Wilk: Wir sind absolute Bindungswesen. Unser innerstes Interesse in den ersten drei Lebensjahren liegt darin, uns sicher zu binden. Ein kleines Kind würde von sich aus niemals sagen: „Ich müsste unter Gleichaltrige. Ich brauche einen anderen Input.“ Es würde immer zu seinen sicheren Bindungspersonen wollen. Als mein ältester Sohn geboren wurde, war es normal, dass Kinder erst mit drei Jahren in den Kindergarten kamen.

Wie könnte man es besser machen?

Denise Wilk: Es wäre wichtig, es angemessen zu honorieren, wenn die Mama (oder der Papa) beim Kind bleibt. Denn wenn der Staat circa 1.200 Euro für einen Kitaplatz finanzieren kann, ist es auch möglich, den Eltern dieses Geld in die Hand zu drücken. So eine Prämie wäre eine faire Möglichkeit, es den Eltern freizustellen, ob sie die Kinder über das erste Jahr hinaus selbst betreuen oder das Geld für einen Kitaplatz ausgeben.

Was würden Sie all den (werdenden) Müttern raten?

Denise Wilk: Sich mit anderen Müttern und Vätern zu vernetzen. Es gibt ganz tolle offene Mütterund Elterncafés. Und bei all den Informationen, die in dieser Zeit auf einen einprasseln, sollte man auf seine innere Stimme hören und wieder mehr „in guter Hoffnung“ sein. Aber wenn du eine Schwangere fragst: „Wie geht es deinem Kind?“ lautet die Antwort häufig: „Ich hatte lange keine Vorsorge mehr. Demnächst habe ich wieder eine. Dann kann ich dir Auskunft geben.“

Die Angst ist groß, etwas zu übersehen...

Denise Wilk: Die Ärzte gehen immer von der Pathologie aus nach dem Motto „Finde den Fehler“. Sie sind permanent auf der Suche nach einem Parameter, der nicht in Ordnung ist. Das ist ja auch ihre Aufgabe. Trotzdem sollten die Frauen mehr nach innen schauen und diese Angst loslassen. Leider ist so vieles an dem Setting, in dem Schwangerschaften und Geburten stattfinden, angstmachend.

Inwiefern?

Denise Wilk: Dieses permanente CTG schreiben, immer auf der Lauer: „Läuft da jetzt was schief?“. Das verunsichert total. Und die vielen unangemessenen Geschichten und Ratschläge. Wir erwarten permanent Schmerzen und Gefahren und setzen damit unseren Körper in Alarmbereitschaft. Das ist genau das Gegenteil von dem, was die Geburt gut gelingen lässt. Auch die Zahlen zeigen: Mehr als ein Drittel sind nicht mehr in der Lage, normal zu gebären. Laut der WHO dürfte es nicht mehr als 14 % Kaiserschnitte geben. Bei uns sind es über 30 %. Medizinisch eingegriffen wird in circa 90 % der Geburten.

Es scheint fast so, als wären wir Frauen „kaputt gegangen“...

Denise Wilk: Wenn die Natur es so eingerichtet hätte, gäbe es uns nicht mehr. Das Problem ist, die Gefahr, zum Beispiel einen Kaiserschnitt zu bekommen, liegt nicht am individuellen Risiko der Frau, sondern an ihrem Wohnort. Das bestimmen die Chefärzte. Es ist natürlich extrem wichtig, dass es in einer Notsituation die Möglichkeit gibt, einen Kaiserschnitt zu machen. Aber wenn immer gleich ein Kaiserschnitt anvisiert wird, zum Beispiel bei Beckenendlage oder Zwillingsgeburten, dann gibt es auch immer weniger Geburtspersonal, dass das noch auf natürliche Weise begleiten kann. Dabei geht leider ein Stückweit verloren, was Geburt bedeuten kann.

Was kann Geburt denn bedeuten?

Denise Wilk: Eine selbstbestimmte Geburt kann so ein unbeschreiblich bestärkendes Gefühl freisetzen nach dem Motto „Ich kann über meine Grenzen hinauswachsen. Ich kann alles schaffen.“ Wenn das alle Frauen, die gebären, so empfinden würden, würde das was machen mit der Welt. Aber jede einzelne Frau, die so ein Erlebnis hat, verändert schon etwas.

Worauf kommt es an, damit mehr Frauen die Geburt so erleben können?

Denise Wilk: Wichtig wäre, genau die positiven Geschichten verstärkt weiterzuvermitteln, um aus diesem kollektiven Trauma herauszuwachsen. Wir müssen so viel Oxytocin in die Welt pusten wie es nur geht. Und das geschieht durch Berührung, Kontakt, den anderen sehen, füreinander da sein, durch natürliche Geburten und einfach ganz viel Liebe. Geburt ist Liebe. Nichts anderes. Und das sollte auch so bleiben.

Interview: Simone Forster

 

Kontakt: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, T. 0177-864 00 55

Buch: Denise Wilk /Aline Bronsky: „Die Abschaffung der Mutter: Kontrolliert, manipuliert und abkassiert – warum es so nicht weitergehen darf“, ISBN 978-342-104-7267

 

 

 

 

 

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